ANLAGE Inventur-Hinweise 2022

ANLAGE Inventur-Hinweise 2022

1 Erstellung  des  Inventars

Voraussetzung für die Aufstellung der Bilanz ist die Aufzeichnung der einzelnen Vermögensgegenstände (Inventar). Insbesondere die Erfassung des Vorrats­vermögens (Bilanzpositionen: Roh-, Hilfs- und Be­triebsstoffe, unfertige und fertige Erzeugnisse, Waren) erfordert grundsätzlich eine körperliche Bestands­aufnahme (Inventur).

Das Vorratsvermögen kann auch mit Hilfe aner­kannter mathematisch-statistischer Methoden auf­grund von Stichproben ermittelt werden, wenn das Ergebnis dem einer körperlichen Bestandsaufnahme gleichkommt (§ 241 Abs. 1 HGB). Als weitere Inven­turerleichterungen kommen die Gruppenbewertung (siehe Tz. 6.1) und der Festwert (siehe Tz. 6.2) in Betracht.

2 Methoden  der  Inventur

2.1 Zeitnahe Inventur: Eine ordnungsgemäße Bestandsaufnahme ist regelmäßig am Bilanzstichtag oder innerhalb von 10 Tagen vor oder nach dem Bilanzstichtag durchzuführen. Bestandsveränderun­gen zwischen dem Tag der Bestandsaufnahme und dem Bilanzstichtag sind dabei zu berücksichtigen.

2.2 Zeitverschobene Inventur: Die körperliche Be­standsaufnahme kann an einem Tag innerhalb der letzten drei Monate vor oder der ersten zwei Monate nach dem Bilanzstichtag durchgeführt werden, wenn durch ein Fortschreibungs- oder Rückrechnungsver­fahren die ordnungsmäßige Bewertung zum Bilanz­stichtag sichergestellt ist. Die Fortschreibung kann nach der folgenden Methode vorgenommen werden, wenn die Zusammensetzung des Warenbestands am Bilanzstichtag nicht wesentlich von der Zusammen­setzung am Inventurstichtag abweicht:

Körperliche Inventur 30. November[1]                       220.000 €

+    Wareneingang 1. bis 31. Dezember                       70.000 €

./.   Wareneinsatz[2] 1. bis 31. Dezember                   90.000 €

Inventur-/Bilanzwert 31. Dezember                           200.000 €

Es ist auch zulässig, Teile des Warenbestands am Bilanzstichtag und andere Teile im Wege der Fort­schreibung bzw. Rückrechnung zu erfassen. Bei Vermögensgegenständen mit hohem Wert, hohem Schwund oder Gegenständen, die starken Preis­schwankungen unterliegen, ist eine zeitverschobene Inventur regelmäßig nicht anwendbar. Vgl. dazu auch R 5.3 Abs. 2 und 3 EStR.

2.3 Permanente Inventur: Eine Bestandsaufnahme kann auch aufgrund einer permanenten Inventur er­folgen; hierbei kann der Bestand für den Bilanzstich­tag nach Art und Menge anhand von Lagerbüchern (z. B. EDV-unterstützte Lagerverwaltung) festgestellt werden. Dabei ist allerdings mindestens einmal im Wirtschaftsjahr der Buchbestand durch körperliche Bestandsaufnahme zu überprüfen. Wegen der weiteren Voraussetzungen vgl. H 5.3 „Permanente Inventur“ EStH. Eine permanente Inventur wird regelmäßig nicht anerkannt bei Vermögens­gegen­ständen von hohem Wert, mit hohem Schwund oder bei hohen Mengendifferenzen (R 5.3 Abs. 3 EStR).

3 Umfang  der  Inventur

Das Inventar (Bestandsverzeichnis) muss den Nach­weis ermöglichen, dass die Vermögensgegenstände vollständig aufgenommen worden sind. In diesem Zusammenhang ist auf Folgendes hinzuweisen:

3.1 Hilfs- und Betriebsstoffe, Verpackung usw.: Auch Hilfs- und Betriebsstoffe sind aufzunehmen. Hilfsstoff ist z. B. der Leim bei der Möbelherstellung. Betriebsstoffe sind z. B. Heizmaterial sowie Benzin und Öl für Kraftfahrzeuge. Im Allgemeinen genügt es, wenn sie mit einem angemessenen geschätzten Wert erfasst werden (vgl. dazu auch Tz. 6).

Eine genaue Bestandsaufnahme ist aber auch für Hilfs- und Betriebsstoffe und Verpackungsmaterial erforderlich, wenn es sich entweder um erhebliche Werte handelt oder wenn die Bestände an den Bilanzstichtagen wesentlich schwanken.

3.2 Unfertige und fertige Erzeugnisse: Aus den Inventur-Unterlagen muss erkennbar sein, wie die Bewertung der unfertigen und fertigen Erzeugnisse erfolgte, d. h., die Ermittlung der (anteiligen) Her­stellungskosten ist nachprüfbar und nachweisbar zu belegen. Bei den unfertigen Erzeugnissen sollte der Fertigungsgrad angegeben werden. Vgl. auch R 6.3 EStR.

3.3 „Schwimmende Waren“: Unterwegs befindliche Waren sind ebenfalls bestandsmäßig zu erfassen, wenn sie wirtschaftlich zum Vermögen gehören (z. B. durch Erhalt des Konnossements oder des Auslie­ferungsscheins).[3] Lagern eigene Waren in fremden Räumen (z. B. bei Spediteuren), ist eine Bestands­aufnahme vom Lagerhalter anzufordern.

3.4 Kommissionswaren: Kommissionswaren sind keine eigenen Waren und daher nicht als Eigen­bestand aufzunehmen. Andererseits sind eigene Waren, die den Kunden als Kommissionswaren über­lassen worden sind, als Eigenbestand zu erfassen (ggf. sind Bestandsnachweise von Kunden anzufordern).

3.5 Minderwertige Waren: Minderwertige und wertlose Waren sind ebenfalls bestandsmäßig aufzu­nehmen. Die Bewertung kann dann ggf. mit 0 Euro erfolgen.

4 Bewegliches  Anlagevermögen

4.1 In das Bestandsverzeichnis müssen grundsätz­lich sämtliche beweglichen Gegenstände des Anlage­vermögens aufgenommen werden, auch wenn sie bereits abgeschrieben sind. Zu den Ausnahmen siehe Tz. 4.2 und 6.2.

Auf die körperliche Bestandsaufnahme kann verzich­tet werden, wenn ein fortlaufendes Anlagenver­zeichnis geführt wird; darin ist jeder Zu- und Abgang laufend einzutragen (vgl. R 5.4 Abs. 4 EStR).

4.2 Sofort abgeschriebene geringwertige Wirt­schafts­güter müssen in einem besonderen, laufend zu füh­renden Verzeichnis bzw. auf einem besonderen Konto erfasst werden, wenn die Anschaffungs-/Her­stel­lungskosten mehr als 250 Euro4 und nicht mehr als 800 Euro[4] betragen.[5]

Für Wirtschaftsgüter zwischen 250 Euro4 und 1.000 Euro,4 die in den Sammelposten aufgenom­men werden, bestehen – abgesehen von der Erfas­sung des Zugangs – keine besonderen Aufzeich­nungspflichten; sie müssen auch nicht in ein Inventar aufgenommen werden.[6]

4.3 Leasinggegenstände sind im Anlagenverzeich­nis zu erfassen, wenn sie dem Leasingnehmer zuzu­rechnen sind (z. B., wenn die Grundmietzeit weniger als 40 % oder mehr als 90 % der Nutzungsdauer be­trägt oder bei Leasingverträgen mit Kaufoption).

5 Forderungen  und  Verbindlichkeiten

Zur Inventur gehört auch die Aufnahme sämtlicher Forderungen und Verbindlichkeiten, also die Erstel­lung von Saldenlisten für Schuldner und Gläubiger. Auch Besitz- und Schuldwechsel sind einzeln zu erfassen. Die Saldenlisten sind anhand der Konto­korrentkonten getrennt nach Forderungen und Ver­bindlichkeiten aufzustellen.

6 Bewertungsverfahren

6.1 Einzelbewertung – Gruppenbewertung: Grund­sätzlich sind bei der Inventur die Vermögensgegen­stände einzeln zu erfassen und entsprechend zu bewerten (§ 240 Abs. 1 HGB).

Soweit es den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buch­führung entspricht, können jedoch gleichartige Ver­mögensgegenstände des Vorratsvermögens sowie an­dere gleichartige oder annähernd gleichartige beweg­liche Vermögensgegenstände jeweils zu einer Gruppe zusammengefasst werden (Gruppenbewertung nach § 240 Abs. 4 HGB, siehe auch R 6.8 Abs. 4 EStR).

Als vereinfachte Bewertungsverfahren kommen die Durchschnittsbewertung oder ein Verbrauchs­folgeverfahren wie z. B. bei Brennstoff-Vorräten (sog. Lifo-Verfahren; R 6.9 EStR) in Betracht.

6.2 Festwerte: Vermögensgegenstände des Sachan­lagevermögens sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (ausgenommen die unter Tz. 4.2 genannten Wirt­schaftsgüter) können, wenn sie regelmäßig ersetzt werden und ihr Gesamtwert für das Unternehmen von nachrangiger Bedeutung[7] ist, mit einer gleich­bleibenden Menge und einem gleichbleibenden Wert angesetzt werden, sofern ihr Bestand in seiner Größe, seinem Wert und seiner Zusammensetzung nur geringen Veränderungen unterliegt (Fest­bewertung nach § 240 Abs. 3 HGB). Diese Art der Bewertung kommt z. B. bei Werkzeugen, Flaschen, Fässern, Verpackungsmaterial in Betracht.

Die durch Festwerte erfassten Gegenstände sind regelmäßig nur an jedem dritten Bilanzstichtag aufzunehmen; für Gegenstände des beweglichen Anlagevermögens ist spätestens an jedem fünften Bilanzstichtag eine körperliche Bestandsaufnahme vorzunehmen. Wird dabei ein um mehr als 10 % höherer Wert ermittelt, ist dieser neue Wert maß­gebend (vgl. R 5.4 Abs. 3 EStR).

7 Durchführung  der  Inventur

Bei der körperlichen Inventur werden die vorhande­nen Vermögensgegenstände physisch aufgenommen. Für die jeweiligen Aufnahmeorte (z. B. Lager, Ver­kaufsräume, Werkstatt) sind Inventurteams mit je­weils einem Zähler und einem Schreiber zu bilden.

Für die Bestandsaufnahme gilt insbesondere:

–  Die Aufnahme der Bestände erfolgt in örtlicher Reihenfolge ihrer Lagerung.

–  Aufgenommene Bestände sind zu kennzeichnen.

–  Während der Bestandsaufnahme dürfen keine Material­bewegungen vorgenommen werden.

–  Die aufgenommenen Gegenstände müssen eindeutig be­zeichnet werden (ggf. durch Materialnummer oder Kurz­bezeichnung). Mengen und Mengeneinheit sind anzugeben.

Inventurlisten und Unterlagen sind durchzunum­merieren und vom Zähler und Schreiber zu unter­zeichnen. Korrekturen während oder nach der Inven­tur müssen abgezeichnet werden. Aufzeichnungen können auch auf Datenträgern geführt werden. Inventur-Unterlagen sind 10 Jahre aufzubewahren.

8 Kontrollmöglichkeit

Die Bewertung muss einwandfrei nachprüfbar sein. Das erfordert eine genaue Bezeichnung der Ware (Qualität, Größe, Maße usw.). Falls erforderlich, sind Hinweise auf Einkaufsrechnungen, Lieferanten oder Kalkulationsunterlagen anzubringen, soweit dies aus der Artikelbezeichnung bzw. Artikelnummer nicht ohne Weiteres ersichtlich ist. Wird eine Wertminde­rung (z. B. Teilwertabschreibung) geltend gemacht, sind Grund und Höhe nachzuweisen.

9 Abschlussprüfer

Bei prüfungspflichtigen Unternehmen empfiehlt sich vor der Inventur rechtzeitige Rücksprache mit dem Abschlussprüfer, weil auch die Inventur Gegenstand der Abschlussprüfung ist.



[1]    Alle Wertangaben ohne Umsatzsteuer, die grundsätzlich nicht zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten gehört (vgl. § 9b EStG).

[2]    Der Wareneinsatz kann nach R 5.3 Abs. 2 Satz 9 EStR aus dem Umsatz abzüglich des durchschnittlichen Rohgewinns er­mittelt werden.

[3]    BFH-Urteil vom 03.08.1988 I R 157/84 (BStBl 1989 II S. 21).

[4]    Beträge ohne Umsatzsteuer, unabhängig davon, ob ein Vor­steuerabzug möglich ist.

[5]    Siehe § 6 Abs. 2 Satz 4 EStG.

[6]    Siehe auch BMF-Schreiben vom 30.09.2010 – IV C 6 – S 2180/
09/10001 (BStBl 2010 I S. 755), Rz. 9 ff.

[7]    Vgl. dazu BMF-Schreiben vom 08.03.1993 – IV B 2 – S 2174 a – 1/93 (BStBl 1993 I S. 276).

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